Die historische Frühzeit

Die Urgeschichte in Lauerz und Umgebung

Prähistorische Keramikscherben, welche 1960 auf der Insel Schwanau gefunden wurden. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum, LM-84419

Die ältesten Bodenfunde in Lauerz wurden 1960 auf der Insel Schwanau ausgegraben, wo man Keramikfragmente aus prähistorischer und römischer Zeit fand (s. Kapitel Schwanau). Auf der Insel soll auch eine Münze aus der Zeit des römischen Kaisers Tiberius (14 – 37 n. Chr.) gefunden worden sein.1STASZ: SG.CIX.50.4.10.2, sowie P. Emanuel Scherer, Die vorgeschichtlichen und frühgeschichtlichen Altertümer der Urschweiz, in Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zürich, Band 27 (1924), S. 218 (30) Wir dürfen davon ausgehen, dass die Schwanau bereits in der Bronzezeit, um ca. 1200 vor Christi Geburt2Valentin Kessler, Vom Steinbeil zur Zimmermannskunst – Archäologische Streiflichter im Kanton Schwyz, in Archäologie Schweiz, Heft 35 (2012), S. 36, möglicherweise sogar in der Jungsteinzeit, begangen wurde. Auf dem restlichen Gemeindegebiet von Lauerz fanden bisher keine archäologischen Ausgrabungen statt, weshalb bisher keine nennenswerten Funde zu Tage traten. Zu erwähnen sind an dieser Stelle noch zwei mittelalterliche Fundstücke aus dem Lauerzersee, die im Jahr 1963 während dem Bau der Strassenbrücke beim Auslauf des Lauerzersees in die Seeweren zu Tage gefördert wurden. Es handelt sich dabei um ein mittelalterliches Schwert und einen Dolch, welche wohl beide aus dem beginnenden 13. Jahrhundert, sprich den Anfängen der Eidgenossenschaft, stammen. Sowohl das Schwert, als auch der Dolch dürften einem Adligen gehört haben.3Hugo Schneider, Schwert und Dolch aus der Zeit der Schlacht am Morgarten, 1315, in Mitteilungen, Heft 57 (1964), S. 137 – 146

In Steinen im Jahr 1845 gefundene bronzene Nadel und ein Dolch (ohne Griffstück). Fotos: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zürich, Band 27 (1909-1916), Heft 4, Tafel II.

Aus der Bronzezeit stammen ein im Nachbarort Steinen gefundener Dolch, eine Nadel und Keramikfragmente.4Thomas Cavelti, Philipp Wiemann, Ursula Hügi, Neolithikum und Bronzezeit, in Geschichte SZ, S. 88 Im Winter 1921, als durch anhaltende Trockenheit der Seespiegel des Lauerzersees stark gesunken war, entdeckte man Reste von Pfählen im See.5P. Emanuel Scherer, Pfahlbauten. Zehnter Bericht, in Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zürich, Band 29 (1921-1924), Heft 4, S. 207 (63) Wo genau diese entdeckt wurden, ist nicht bekannt. Auch ob diese Pfähle von einer Siedlung stammten, ist im Nachhinein nicht zu ermitteln. Jedenfalls sind rund um den Zugersee und den Ägerisee an 33 Standorten über 50 Pfahlbausiedlungen nachgewiesen, die in die Zeitperiode von der Jungsteinzeit zur Spätbronzezeit datiert werden konnten.6Renata Huber und Gishan Schaeren, Zum Stand der Pfahlbauforschung im Kanton Zug, in Tugium, 25/2009, S. 112 Im Jahr 2020 wurden auch in Immensee Siedlungsspuren von insgesamt fünf Pfahlbaudörfern entdeckt.7Niels Bleicher et al., Durch diese Hohle Gasse muss er kommen, der grüne Stein vom Gotthard, in Mitteilungen Heft 113 (2021), S. 19 ff. Durch die geographische Nähe der Fundorte von Immensee, Zug und Ägeri, dürfen auch für den Lauerzersee prähistorische Seeufersiedlungen nicht ausgeschlossen werden. Zu bedenken ist immerhin, dass der Lauerzersee in prähistorischer Zeit grösser8Jakob Gasser, 200 Millionen Jahre Erdgeschichte, in Geologie und Geotope, S. 75-77 und tiefer war und mit dem Bergsturz 1806 einen Siebtel9Bussmann und Anselmetti, Rossberg landslide, S. 44 und 54 seiner Grösse einbüsste. Ein Abfluss in den Zugersee bestand nicht, jedoch einer in den Vierwaldstättersee10Jakob Gasser, 200 Millionen Jahre Erdgeschichte, in Geologie und Geotope, S. 72 – 77 , vermutlich entlang der alten Seeweren. Damit wäre über den Wasserweg ein Anschluss an das Gotthardgebiet, aber auch an das Mittelland nach Westen vorhanden gewesen. Des weiteren lag auch der Zugersee mit seinen vielen Pfahlbausiedlungen nur wenige Marschstunden vom Lauerzersee entfernt. Vielleicht wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis man auch in der Umgebung des Lauerzersees Spuren von prähistorischen Siedlungen finden wird.

Leider erschweren die Bergstürze, Murgänge, Überschwemmungen und der grosse Sedimenteintrag in den Lauerzersee eine archäologische Suche nach Seeufersiedlungen und anderen historischen Objekten. Innerhalb weniger Jahrzehnte können solche Objekte unter Schuttmassen begraben bzw. am Seegrund durch eine Sedimentschicht überdeckt werden. Besonders die Steiner Aa hat seit prähistorischer Zeit Unmengen an Schottermaterial in Richtung Lauerzersee geführt, wodurch das Steiner Ufer um zwei Kilometer in Richtung Lauerz vorgerückt ist.11René Hantke, Gesteine, S. 114

Auf der Schwanau fand man nebst den bronzezeitlichen Keramikfragmenten auch Fragmente einer Schale aus spätrömischer Zeit, deren Erscheinungsform als «terra sigillata» bekannt ist. Diese Keramikformen waren in römischer Zeit weit verbreitet und wurden über weite Strecken gehandelt. Die «terra sigillata» von der Schwanau stammt höchstwahrscheinlich aus einer einheimischen Produktionsstätte.12Martin Trachsel, Geschichte SZ, Band 1: S. 122 und 128, Anm. 52 Wie und weshalb diese altertümlichen Keramiken auf die Insel gelangt sind, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Vielleicht dienten sie einem religiösen Kult. Dies ist deshalb nicht abwegig, weil Inseln nicht selten religiöse Heiligtümer beherbergten. Historiker gehen davon aus, dass in der Schweiz in römischer Zeit bevorzugt am Wasser und auf erhöhten Plätzen an einheimische Gottheiten geopfert wurde.13Cornelia Isler-Kerényi, Religion in der römischen Schweiz, in Die Schweiz zur Zeit der Römer, Verlag NZZ (2001), S. 206
Archäologen vermuten, dass der Fussweg von Arth über Lauerz nach Schwyz bzw. Brunnen bereits in römischer Zeit bekannt war.14Philippe Della Casa, Römische Funde in der Zentralschweiz, in Archäologie Vierwaldstättersee, Karte auf S. 20 Die Funde von römischer Keramik auf der Insel Schwanau würden dem nicht widersprechen.

Frühlingsmorgen am Lauerzersee. So sahen wohl bereits die ersten Menschen die beeindruckende Naturlandschaft mit der Schwanau und den beiden Mythen.

Eine keltische und/oder alpinlombardische Bevölkerung in Innerschwyz?

Die Gegend von Arth nach Brunnen wurde nicht erst durch die Alemannen besiedelt. Spätestens in römischer Zeit haben in Innerschwyz Menschen gelebt. Darauf weist nicht nur der Talname Schwyz hin, der einer voralemannischen Sprache entstammt15Viktor Weibel, Vom Dräckloch i Himel, S. 23, sondern auch die Pollenanalysen in den Seesedimenten des Lauerzersees, welche im Jahr 2010 durchgeführt wurden und in denen für die Jahrzehnte nach Christi Geburt Süssgräser und Getreidepollen nachgewiesen wurden (s. unten). Bei dieser Bevölkerung sollten wir nicht vorrangig von Römern ausgehen. Die Römer waren seit dem Sieg über die Helvetier im Jahr 58 v. Chr. eine Besatzungsmacht in Helvetien und besiedelten das Land, abgesehen von den Städten, nur in wenigen Fällen selber. Die meisten damaligen Menschen in der Schweiz waren keine ursprünglichen Römer, sondern im Mittelland keltische Helvetier, bzw. im alpinen Raum Angehörige der Räter, Lepontier und anderer kleiner Völkerschaften. Diese Völker wurden durch die römische Besatzung zu einem gewissen Grade romanisiert, nahmen also teilweise das Latein als Verwaltungssprache und gewisse Kulturelemente der Römer an. Vieles aus ihrer einheimischen Kultur behielten sie jedoch bei.16Andres Furger, Die Helvetier, S. 136
Bereits vor der römischen Besatzung, siedelten gegen die Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus sowohl Kelten, als auch Räter im schweizerischen Raum. „Die Trennlinie zwischen den beiden Völkern lag vom Arboner Forst über die Senke zwischen Zürichsee und Walensee bis hinauf nach Uri“17Franz Georg Maier, Kelten und Helvetier in der Schweiz, in Gold der Helvetier, S. 24, so der Historiker Franz Georg Maier. Freilich gab es Überlagerungen von der einen zur anderen Seite. Das Gebiet von Innerschwyz lag demzufolge auf dieser Trennlinie zwischen keltisch und rätisch geprägtem Kulturraum.
Der Archäologe Andres Furger, ehemaliger Direktor des schweizerischen Landesmuseums, vermutete, dass die keltische Bevölkerung in der Schweiz mit dem Niedergang des römischen Imperiums nicht verschwand, sondern bis ins Frühmittelalter überdauerte.18Andres Furger, Die Helvetier, S. 149-155 Zusammen mit den Alemannen könnten die romanisierten Helvetier die Bevölkerung der mittelalterlichen Deutschschweiz gebildet haben. Im schweizerischen Alpenraum, der seit jeher Schutz vor kriegerischen Wirren bot, erhielt sich die voralemannische Bevölkerung vermutlich besser als im Mittelland.19Ebd. S. 148

Eine weitere These vertritt der Zuger Ortsnamenforscher Beat Dittli.20Beat Dittli, Flurnamen Kanton Zug, S. 79 – 81 Er verweist auf die romanischen Reliktnamen Frutt und Agru/Äger (Ägeri), die lokal auf die Urschweiz (ohne Ausserschwyz) und einige angrenzende Regionen beschränkt sind. Er vermutet, dass unser Gebiet bis ins Frühmittelalter stellenweise durch eine romanische, genauer alpinlombardische Bevölkerung besiedelt war, die als einzige diese Wörter verwendet hatte. Das Ägerital (Kt. Zug) könnte gemäss Dittli das nördlichste Randgebiet dieser romanischen Volksgruppe in der Innerschweiz gewesen sein, die auch das Tessin und die Lombardia bewohnte. Lauerz hätte somit innerhalb dieses romanischen bzw. alpinlombardischen Gebiets gelegen. Die hiesige Bevölkerung hätte ihre „kulturellen und sprachlichen Wurzeln im Süden, d.h. in der alpinen Innerschweiz und in der Lombardia“21Ebd. S. 134 gehabt.

Auch der zugerische Ortsname Walchwil könnte gemäss Dittli darauf hindeuten, dass sich im Raum Zugersee und Arth im frühen Hochmittelalter eine „alemannisch-romanische Berührungs- und Sprachgrenzzone“ gebildet hatte.22Ebd. S. 184 Hinter dem Ortsnamen Walchwil verbirgt sich vermutlich der Personenname Walah oder Walcho, was soviel wie Welscher oder Fremdsprachiger bedeutet. Damit dürfte ein romanischsprachiger Siedler gemeint gewesen sein. Ob dieser keltoromanisch oder alpinlombardisch sprach, wissen wir allerdings nicht.

Dass es auch in Lauerz eine romanisch sprechende Bevölkerung gegeben haben könnte, darauf könnten die Flurnamen Feltschi23Erste Nennung in einer Gült aus dem Jahr 1722: «anstossend obsich an […] das Feltschi», aus Geschichtskalender, 1917/23 und Gurgen24Erste Nennung in der Säckelmeisterrechnung 1558: «ußgen 2 dick um ancken denen von Louwertz ze schwentten uffen Gurgen», aus STASZ, HA.III.1285, S. 101 (p. 105) hindeuten. Beim Feltschi ist der Ursprung jedoch umstritten. Der Name könnte einerseits romanisch sein und mit romanisch «vallacia» für Deutsch «Talschlucht, kleines Tobel» verwandt sein.25Auskunft von Angelo Garovi per E-Mail, 17.09.2022 Das Gelände beim Feltschi würde dem nicht widersprechen. Auch eine Ableitung von lateinisch «filex», «filice» für Farnkraut wurde einst von Namenforschern angeführt. Farn findet sich in der Umgebung des Feltschi zur Genüge. Handkehrum kann der Name auch vom schweizerdeutschen Wort «faltsch» abstammen. Dies würde dann soviel wie ungünstige, «falsche Lage» bedeuten.26Viktor Weibel, Namenbuch, Band 1, S. 339

Die Alp Ober Gurgen im Spätsommer. Der Name Gurgen ist vermutlich romanischen Ursprungs und könnte auf eine romanisch sprechende Bevölkerung in unserer Gegend hindeuten.

Romanischen Ursprungs könnte auch der Flurname Gurgen sein. Er wäre aus dem romanischen Wort «gurga» abgeleitet, was auf Deutsch «Gurgel, Strudel, Wassergraben» bedeutet.27Heinrich Schmid, Westgrenze, S. 142 – 143 Im Gurgen ziehen sich einige Gräben durchs Gelände; gegen das Gurgenried hat es einige kleine Bäche, die für die Deutung als «Wassergraben, Strudel» in Frage kommen. Die Verteilung der Flurnamen mit «Gurgen» auf die Innerschweiz und das östliche Berneroberland lässt vermuten, dass das Wort einer lombardischen Bevölkerung entstammt.28Ortsnamenbuch des Kantons Bern, Teilband I/2, S. 160 Flurnamen mit Gurgen (Gorgen) und Feltschi kommen auch im Kanton Obwalden vor. Der Germanist und Historiker Angelo Garovi deutet beide Namen als Relikt einer romanisch sprechenden Vorbevölkerung.29Angelo Garovi, Namen als Quellen zur Geschichte, in Geschichtsfreund, Band 142 (1989), S. 87 Im Fall von Lauerz kann es sich beim Gurgen auch um ein Lehnwort handeln, was bedeutet, dass das Wort nicht unmittelbar von romanischen Siedlern abstammt, sondern aus einer anderen Gegend in unseren Sprachschatz gelangt ist.

Während der Völkerwanderungszeit deutet eine Pollenanalyse aus dem Lauerzersee auf einen markanten Rückgang der Bevölkerung hin (s. unten). Für diese Zeit vom 6– 7. Jahrhundert sind nur noch wenige menschliche Einflüsse um den See nachzuweisen. Deshalb haben die Alemannen als Neuankömmlinge offensichtlich den meisten Ortschaften und Fluren in Innerschwyz neue, alemannische Namen gegeben.

Ergebnisse der Pollenanalyse aus dem Lauerzersee

Eine paläoökologische Untersuchung30Erika Gobet, Willy Tinner, Von der Ur- zur Kulturlandschaft, in Geschichte SZ, Band 1, S. 48-49 aus dem Jahr 2010, bei welcher zehn Meter lange Bohrprofile aus dem Seegrund des Lauerzersees auf Pflanzenpollen und Kohlepartikel analysiert wurden, liess erkennen, dass unserer Gegend spätestens um Christi Geburt, d.h. zu Beginn des römischen Kaiserreiches, besiedelt war. Leider reicht die Pollenanalyse nicht weiter zurück, weil dafür die Länge der Bohrprofile nicht ausreichte. Eine Besiedelung vor Christi Geburt ist jedoch anzunehmen, da weiter zurückreichende Pollenanalysen aus Einsiedeln31Erika Gobet, Willy Tinner, Von der Ur- zu Kulturlandschaft, in Geschichte SZ, Band 1, S. 46, Muotathal32Jean Nicolas Haas et. al., Zur Vegetationsgeschichte der Silberenalp im Muotatal SZ an Hand der paläoökologischen Untersuchung der Schattgaden-Moorsedimente, in Mitteilungen, Heft 105 (2013), S. 27 ff. und Attighausen33Jean Nicolas Haas, Waldgeschichte der Waldstätte, in Streifzüge, S. 57-58 auf Siedlungstätigkeit bis in die Spätbronzezeit hinweisen. Für die Zeit unmittelbar nach Christi Geburt, lassen sich in den Pollenanalysen aus dem Lauerzersee Getreide- und Gräserpollen nachweisen, die auf Ackerbau und Viehzucht durch hiesige Siedler schliessen lassen. Auf eine Besiedlung während der Römerzeit deuten nebst der oben erwähnten römerzeitlichen Keramik von der Schwanau, auch Funde von römischen Gegenständen aus anderen Orten in Innerschwyz hin.34Martin Trachsel, Die Zeit der Römer, in Geschichte SZ, Band 1, S. 121-126 Gemäss der Pollenanalyse aus dem Lauerzersee intensivierte sich die landwirtschaftliche Tätigkeit rund um den See in der römischen Kaiserzeit um 250 – 400 n. Chr. in geringem Masse, ging dann aber mit dem Niedergang des römischen Imperiums während der Völkerwanderungszeit von 400 – 600 n. Chr markant zurück.

Erst ab ca. 650 n. Chr., mit der Besiedelung durch die Alemannen nimmt die Kultivierung wieder zu. Bei Ausgrabungen in den Jahren 1965/66 stiess man unterhalb der Schwyzer Pfarrkirche auf alemannische Gräber aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts.35Erik Hug, Anthropologische Begutachtung der Gräberfunde in der Pfarrkirche von Schwyz (Dokumentation), in Mitteilungen, Heft 66 (1974), S. 95 Die Grabungsarbeiten legten auch eine merowingische Kirche aus der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts frei.36Hans Rudolf Sennhauser, Die Ausgrabungen in der Martinskirche zu Schwyz 1965/66, in Mitteilungen, Heft 66 (1974), S. 12 In einem Frauengrab, das in die Zeit um 700 n. Chr. datiert, wurde eine wohl adelige Dame bestattet, der fränkische Schmuckstücke ins Grab mitgegeben wurden.37Max Martin, Das Frauengrab 48 in der Pfarrkirche St. Martin von Schwyz, in Mitteilungen, Heft 66 (1974), S. 143 Von den Franken stammt möglicherweise auch das Patrozinium von Sankt Martin aus Tours, der bis heute der Landespatron des Kantons Schwyz geblieben ist.

Zeichnung einer silbernen Fibel, die einer fränkischen Dame ins Grab gelegt wurde, als diese um das Jahr 700 bei der Schwyzer Pfarrkirche bestattet wurde. Quelle: Max Martin, Mitteilungen, Heft 66, S. 147

Nach 800 n. Chr., unter der Herrschaft der Karolinger, steigt der Besiedlungsdruck im Schwyzer Talkessel stark an. Der Nussbaum, dessen Pflanzung Kaiser Karl der Grosse (747 – 814) förderte38Karl Gareis, Die Landgüterordnung Kaiser Karl des Grossen (Capitulare de villis vel curtis imperii), J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Berlin (1895), S.66 , konnte durch Pollenanalysen ebenfalls ab dieser Zeit nachgewiesen werden. Um 800 hat sich vermutlich auch ein Bergsturz39Erika Gibet, Willy Tinner, Von der Ur- zur Kulturlandschaft, in Geschichte SZ, Band 1, S. 49, jener von Röthen, in der Nähe des Lauerzersees ereignet. Die Erholung von diesem Ereignis erfolgte aber rasch, da für die Zeit nach 800 n. Chr. die Holzkohlewerte in den genannten Bohrprofilen auf einen starken Anstieg der Brandrodungen hindeuten. Brandrodungen geschahen in bewaldetem Gebiet zur Gewinnung von neuem Landwirtschaftsland. Diese Urbarisierung hängt vermutlich mit einer starken Zunahme der Bevölkerung zusammen. Flurnamen mit dem Wortstamm Brand, Stock, Rüti und Schwand deuten auf Rodungstätigkeit hin.40Viktor Weibel, Namenbuch, Band 4, S. 352 Auf Brandrodung weist ein Heimwesen namens Brand41Carl Zay, Goldau, S. 369 im vom Bergsturz verschütteten Unter-Buosigen hin. Beim Schwenden wurden die Bäume durch Abschälen der Baumrinde zum Absterben gebracht und nach einigen Monaten gefällt. In der Innerschwyzer Mundart hat «Ringlen» dieselbe Bedeutung wie das hier genannte Schwenden. Auch beim Ringlen wird die Baumrinde ringförmig abgezogen, damit der Baum abstirbt. Besonders wurde das Schwenden in etwas höher gelegenen Regionen angewandt.42Viktor Weibel, Namenbuch, Band 4, S. 353 Das Landwirtschaftsgut Schwändi und die Alp Schwand zeugen in Lauerz von dieser Zeit. Reuten (schweizerdeutsch: Rüten) war ebenfalls eine Form der Urbarisierung, bei der dem Wald mit der doppelt geführten Axt und der Reuthaue zu Leibe gerückt wurde. In Lauerz sind die Flurnamen Rütli und Rüti davon abzuleiten. Brennen und Rüten sind frühere Arten der Urbarisierung, als in relativ kurzer Zeit neues Land benötigt wurde. Das Schwenden dauerte länger und weist deshalb auf Standorte hin, die später besiedelt wurden. Aus diesem Grund liegen gebrannte und gereutete Grundstücke fast immer in tieferen, besser zugänglichen Lagen, als geschwendete.43Viktor Weibel, Vom Dräckloch i Himel, S. 25/26 So auch in Lauerz. Die Rodungstätigkeit um den Lauerzersee nahm bis Mitte des 12. Jahrhundert zu. Um ca. 1150 – 1200 war der Wald so stark zurückgedrängt, wie er es erst um 1950 wieder sein wird. Spätestens um 1200 war somit die Urbarisierung des Schwyzer Talkessels beendet. Das Gesicht unserer Landschaft wandelte sich bis um 1900 nur noch wenig. Erst mit der Industrialisierung und dem Zeitalter der Moderne beginnt ein neues Kapitel, das bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Der Waldbestand ist heute in Lauerz wieder grösser als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Grundstücke Unter Gurgen, Ottenfang und Oberberg, ehemals landwirtschaftlich genutzt, sind heute von Wald bedeckt. Auch auf der Alp Ober Gurgen hat der Wald wieder zugenommen. Die Ausbreitung der Waldfläche ist ein schweizweiter Vorgang, der zu Lasten der landwirtschaftlichen Flächen vor sich geht.

 

Verfasser: Peter Betschart

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Anmerkungen

  • 1
    STASZ: SG.CIX.50.4.10.2, sowie P. Emanuel Scherer, Die vorgeschichtlichen und frühgeschichtlichen Altertümer der Urschweiz, in Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zürich, Band 27 (1924), S. 218 (30)
  • 2
    Valentin Kessler, Vom Steinbeil zur Zimmermannskunst – Archäologische Streiflichter im Kanton Schwyz, in Archäologie Schweiz, Heft 35 (2012), S. 36
  • 3
    Hugo Schneider, Schwert und Dolch aus der Zeit der Schlacht am Morgarten, 1315, in Mitteilungen, Heft 57 (1964), S. 137 – 146
  • 4
    Thomas Cavelti, Philipp Wiemann, Ursula Hügi, Neolithikum und Bronzezeit, in Geschichte SZ, S. 88
  • 5
    P. Emanuel Scherer, Pfahlbauten. Zehnter Bericht, in Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zürich, Band 29 (1921-1924), Heft 4, S. 207 (63)
  • 6
    Renata Huber und Gishan Schaeren, Zum Stand der Pfahlbauforschung im Kanton Zug, in Tugium, 25/2009, S. 112
  • 7
    Niels Bleicher et al., Durch diese Hohle Gasse muss er kommen, der grüne Stein vom Gotthard, in Mitteilungen Heft 113 (2021), S. 19 ff.
  • 8
    Jakob Gasser, 200 Millionen Jahre Erdgeschichte, in Geologie und Geotope, S. 75-77
  • 9
    Bussmann und Anselmetti, Rossberg landslide, S. 44 und 54
  • 10
    Jakob Gasser, 200 Millionen Jahre Erdgeschichte, in Geologie und Geotope, S. 72 – 77
  • 11
    René Hantke, Gesteine, S. 114
  • 12
    Martin Trachsel, Geschichte SZ, Band 1: S. 122 und 128, Anm. 52
  • 13
    Cornelia Isler-Kerényi, Religion in der römischen Schweiz, in Die Schweiz zur Zeit der Römer, Verlag NZZ (2001), S. 206
  • 14
    Philippe Della Casa, Römische Funde in der Zentralschweiz, in Archäologie Vierwaldstättersee, Karte auf S. 20
  • 15
    Viktor Weibel, Vom Dräckloch i Himel, S. 23
  • 16
    Andres Furger, Die Helvetier, S. 136
  • 17
    Franz Georg Maier, Kelten und Helvetier in der Schweiz, in Gold der Helvetier, S. 24
  • 18
    Andres Furger, Die Helvetier, S. 149-155
  • 19
    Ebd. S. 148
  • 20
    Beat Dittli, Flurnamen Kanton Zug, S. 79 – 81
  • 21
    Ebd. S. 134
  • 22
    Ebd. S. 184
  • 23
    Erste Nennung in einer Gült aus dem Jahr 1722: «anstossend obsich an […] das Feltschi», aus Geschichtskalender, 1917/23
  • 24
    Erste Nennung in der Säckelmeisterrechnung 1558: «ußgen 2 dick um ancken denen von Louwertz ze schwentten uffen Gurgen», aus STASZ, HA.III.1285, S. 101 (p. 105)
  • 25
    Auskunft von Angelo Garovi per E-Mail, 17.09.2022
  • 26
    Viktor Weibel, Namenbuch, Band 1, S. 339
  • 27
    Heinrich Schmid, Westgrenze, S. 142 – 143
  • 28
    Ortsnamenbuch des Kantons Bern, Teilband I/2, S. 160
  • 29
    Angelo Garovi, Namen als Quellen zur Geschichte, in Geschichtsfreund, Band 142 (1989), S. 87
  • 30
    Erika Gobet, Willy Tinner, Von der Ur- zur Kulturlandschaft, in Geschichte SZ, Band 1, S. 48-49
  • 31
    Erika Gobet, Willy Tinner, Von der Ur- zu Kulturlandschaft, in Geschichte SZ, Band 1, S. 46
  • 32
    Jean Nicolas Haas et. al., Zur Vegetationsgeschichte der Silberenalp im Muotatal SZ an Hand der paläoökologischen Untersuchung der Schattgaden-Moorsedimente, in Mitteilungen, Heft 105 (2013), S. 27 ff.
  • 33
    Jean Nicolas Haas, Waldgeschichte der Waldstätte, in Streifzüge, S. 57-58
  • 34
    Martin Trachsel, Die Zeit der Römer, in Geschichte SZ, Band 1, S. 121-126
  • 35
    Erik Hug, Anthropologische Begutachtung der Gräberfunde in der Pfarrkirche von Schwyz (Dokumentation), in Mitteilungen, Heft 66 (1974), S. 95
  • 36
    Hans Rudolf Sennhauser, Die Ausgrabungen in der Martinskirche zu Schwyz 1965/66, in Mitteilungen, Heft 66 (1974), S. 12
  • 37
    Max Martin, Das Frauengrab 48 in der Pfarrkirche St. Martin von Schwyz, in Mitteilungen, Heft 66 (1974), S. 143
  • 38
    Karl Gareis, Die Landgüterordnung Kaiser Karl des Grossen (Capitulare de villis vel curtis imperii), J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Berlin (1895), S.66
  • 39
    Erika Gibet, Willy Tinner, Von der Ur- zur Kulturlandschaft, in Geschichte SZ, Band 1, S. 49
  • 40
    Viktor Weibel, Namenbuch, Band 4, S. 352
  • 41
    Carl Zay, Goldau, S. 369
  • 42
    Viktor Weibel, Namenbuch, Band 4, S. 353
  • 43
    Viktor Weibel, Vom Dräckloch i Himel, S. 25/26